Eine echte Mutter

Über Marguerite Andersens Ich, eine schlechte Mutter. Bekenntnisse


In unsentimentalem Ton beschreibt Marguerite Andersen, Schriftstellerin, Dozentin und Mutter von drei Kindern ihr Leben zwischen verschiedenen Welten.

Berlin, 1945. Marguerite ist eine lebenshungrige Zwanzigjährige. Als sie schwanger wird, geht sie mit ihrem Geliebten nach Tunis, in dessen Heimatstadt. Dort erlebt sie, was viele Frauen ihr Innerstes kostet: das Hausfrauendasein. Eingesperrt in eine kleine Wohnung, die Küche nicht mit im Haus, gekocht wird auf dem Gaskocher. Das Essen schmeckt nach Kerosin, Hemden wollen gewaschen, das Kind gewickelt, die Sickergrube geleert werden. Wenig später die zweite Schwangerschaft. Der Ehemann entwickelt gewalttätige Züge. Gegen sie, gegen die Kinder. Mutterschaft als ständige Opferbereitschaft des eigenen Selbst.
Andersen schafft es dennoch, sich Freiräume zurückzuerobern. Sie geht nach Berlin, beginnt ein Studium – zu einem hohen Preis: Mehrmals verliert sie eins der Kinder oder sogar beide an ihren Mann, das Scheidungsrecht steht auf seiner Seite. Erst 1963 finden Mutter und beide Söhne wieder zusammen.  

Wehen, Abtreibungsversuche, Doktorarbeit – alles gehört zusammen

Es geht darum „es irgendwie [zu] schaffen“. „Die Liebe“, „Drohungen“ „Das glückliche Leben“ – so und anders sind die kurzen Sequenzen überschrieben, durch die die Erzählerin ihre Geschichte vor den Leser*innen ausbreitet und die durch ihre Leerstellen einen großen Sog entfalten. Die Beschreibung von Wehen, Abtreibungsversuchen und Geburtsszenarien gehören dabei genauso zu Andersens Schilderungen wie das nächtliche Schreiben an ihrer Doktorarbeit oder die Suche nach einer neuen Anstellung; alles ist Teil eines Lebens.

Ich, eine schlechte Mutter ist untertitelt mit Bekenntnisse. Es ist ein Text über Fehler, unvermeidbare Unachtsamkeiten, verpasste Gelegenheiten – besonders in der Beziehung zu den beiden Söhnen und in dieser Hinsicht ist er einigermaßen schonungslos gegenüber sich selbst. Es ist der Versuch, etwas klar zu stellen, Abbitte zu leisten gegenüber den eigenen Kindern, die in manchen Situationen zurückstehen mussten. Denn schließlich ist das nicht das, was von einer „guten Mutter“ erwartet wird. Für eine „gute Mutter“ kommen die Kinder immer zuerst. Ihre Bedürfnisse sind die Bedürfnisse der anderen; die Mutter als Subjekt gibt es nicht. Bleibt die Frage, ob es nicht positiv für das Selbstverständnis von Kindern ist, ihre Mutter als jemanden mit eigenen Gedanken, Zielen, Fehlern und Wünschen zu erleben. Eine schlechte Mutter? Jedenfalls eine echte.

Von einer „guten Mutter“ wird auch heute noch erwartet, dass sie ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse zugunsten ihrer Kinder zurückstellt

Der Text spielt vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die die Frauen zwingt, Objekt zu werden, sich selbst und ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse zu verleugnen. Und ist es nicht das, was eine „gute Mutter“ auch in den Augen unserer gegenwärtigen Gesellschaft immer noch ausmacht? Dabei erhebt Andersen keine direkte Anklage gegen dieses System, das sie dazu zwingt, ihre Kinder zu vernachlässigen, wenn sie selbst nicht untergehen will.

Ich, eine schlechte Mutter ist ein Text, der von den alltäglichen Tätigkeiten handelt, die ein gleichberechtigtes Dasein beider Ehepartner*innen verhindern. Aber auch ein Text von einem unermüdlichen Streben nach vorne, dem Nicht-aufhören-Wollen in einer stillen, aber bestimmten Art, die gleichzeitig keinen Zweifel an der Liebe zu den eigenen Kindern lässt, aber eben auch nicht an der Liebe zu sich selbst.

In dieser Hinsicht ein höchst hoffnungsvoller und bestärkender, ein stiller und gerade deswegen besonders wichtiger Text über Emanzipation an ihrer schwächsten Stelle.

© Susanne D. Engling